
Wie sehen die Perspektiven seiner Branche aus? Bei der Frage hält der bekennende Optimist Stefan Stiegel seine Sicht auf die zunehmenden Herausforderungen nicht zurück. Die vielfältigen Auflagen, Vorgaben und Restriktionen, die Architekten und Ingenieure über ihre Kundenanforderungen und die gesetzlichen Vorgaben erhielten, würden immer zahlreicher und komplexer. Von umfangreichen Zertifizierungen bis hin zu sicherheitsrelevanten Punkten spanne sich der Bogen.
1971 wurde RSE+ gegründet. Der Hauptsitz befindet sich in Kassel. Weitere Standorte betreibt das Unternehmen in Stuttgart und Göttingen. Als Generalplaner beschäftigt sich das Team um die Koordination aller Beteiligten eines Projekts – sowohl bei Projekten für Gewerbe, Industrie, Produktion, Pharma, Reinraum und die Öffentliche Hand als auch im Wohnungsbau.
Wachstum ist notwendig
Insgesamt hat das Planungsbüro rund 115 Mitarbeiter. Etwa 75 davon sind in der documenta-Stadt aktiv, darunter 51 Architekten und Ingenieure. Wie stehen die Chancen, dass das Team personell weiter zulegen wird?
„In gewisser Hinsicht ist ein stetes qualitatives und auch quantitatives Wachstum notwendig, um die Projektgrößen zu bewältigen, denen wir uns stellen“, macht Stiegel deutlich und spricht von rund 70 Prozent Architekten sowie 30 Prozent Bauingenieuren in seinen Reihen. Tätig sind die Profis in sämtlichen Leistungsphasen. Das heißt, sie bearbeiten für ihre Auftraggeber das gesamte Paket – vom Entwurf und der Planung eines Projektes über die Ausschreibung, die Vergabe der Aufträge und die Bauleitung bis zur Schlüsselübergabe.
„Wir überwachen, kontrollieren und koordinieren die Ausführung“, erläutert der Manager.
Neben dem Nordhessen leiten zwei weitere Geschäftsführer-Gesellschafter das Unternehmen. Es sind Lukas Holzinger und Gregor Brune.
Das Trio folgt auf die Gründer Reinfried Reiser und den Frankenberger Hartmut Stremme, die vor 55 Jahren den Grundstein der Erfolgsgeschichte legten.
Stiegel setzt seinen Schwerpunkt in Kassel, Holzinger kümmert sich in erster Linie um Stuttgart, während Brune sowohl für Kassel als auch Göttingen aktiv ist. Zwei weitere Geschäftsführer ergänzen das Management: Karin Knobloch und Gerd-Christian Wagner.
Flexibilität rangiert ganz oben
Als Geschäftsfelder definiert RSE+ Architektur, Innenarchitektur und Freianlagenplanung. Ein wichtiges Tätigkeitsfeld markiert Logistik und Fabrikplanung, unter anderem im Cluster Automotive, Produktions-, Forschungs- und Entwicklungsprojekte der Pharma- oder Lebensmittel-Industrie, Reinraumprojekte sowie Bürogebäude. Das umfangreiche Spektrum bringt den Vorteil, dass sich die moderaten Geschäfte einer zeitweise möglicherweise eher ruhigeren Branche über Aufträge eines anderen, florierenden Wirtschaftszweiges auffangen lassen.
Zum Markenzeichen haben sich zahlreiche langfristige Kundenbeziehungen entwickelt. Teilweise reichen ihre Ursprünge mehr als 20 oder 30 Jahre zurück. Exemplarisch genannt seien nationale und internationale Player wie B.Braun/Aesculap, Viessmann, Volkswagen, Mercedes Benz, Porsche, Jenoptik, Airbus, sera sowie die öffentliche Hand. Gleichwohl gibt es, jenseits der Schwerpunkte, immer wieder Ausnahmen von der Regel. Das gilt beispielsweise für die Lungenfachklinik in Immenhausen.
Dort engagierte sich RSE+, als es um den Erweiterungsbau des Krankenhauses sowie Projekte für altersgerechtes Wohnen ging. Oder beim Bau der neuen Viessmann-Kantine in Allendorf/Eder. Diese üppige Vielfalt stellt die Belegschaftsmitglieder regelmäßig vor Herausforderungen. Sie erfordert manchen Spagat, gleichzeitig vergrößert sich so das Portfolio, erweitert die Angebotspalette.
„Damit sind wir reaktionsfähiger und flexibler am Markt unterwegs“, fasst Stefan Stiegel zusammen.
Zu den regionalen Kunden in Nordhessen zählt der Unternehmenspark in der Kasseler Lilienthalstraße. In den frühen Jahren der Firma erhielt die damalige Spinnfaser-Produktion einen hohen Stellenwert. Ähnliches gilt für die dortigen Hallen, die heute Volkswagen nutzt. Beim Terminalgebäude des Flughafens Kassel-Calden, beim Global Player Viessmann und der Krombacher Brauerei im Sauerland engagierten sich die Spezialisten. Auch sechs Hallen und Hochregallager nebst Infrastruktur und Office für die OTC-Projekte des VW-Konzerns in Baunatal mit ihren rund 600.000 Quadratmetern Fläche fanden sich in den vergangenen zweieinhalb Dekaden in den Auftragsbüchern wieder.
Die regionalen Highlights bereicherte, vor über einem Jahrzehnt, die Haupttribüne im Kasseler Auestadion.
Stiegel unterstreicht: „Der Reiz des Auftrags lag vor allem darin, dass es sich um ein Projekt quasi vor der Haustür handelte. Außerdem ging es um einen öffentlichen Blickfang, der mit großen Emotionen in Nordhessen verbunden ist.“
Im Rahmen eines Realisierungswettbewerbs plante RSE+ das Gesamtprojekt gemeinsam mit Baupartnern über sämtliche Disziplinen, vom Entwurf bis zur schlüsselfertigen Übergabe – und führte es anschließend zum Erfolg.
Apropos Generalplaner: Mehr als die Hälfte der Aufträge des Unternehmens laufen so – im Hinblick auf die Architektur- und Ingenieurleistungen. Das heißt, RSE+ kümmert sich mit Partnern etwa um Architektur, Statik, Haustechnik und den Brandschutz. Erhält das Büro den Auftrag, übernimmt es vieles selbst und reicht diejenigen Aufgaben weiter, die man selbst nicht inhouse bearbeitet.
Zu den zuletzt genannten Disziplinen zählen beispielsweise die Tragwerksplanung sowie die Planung der Gebäudetechnik, die außer Haus vergeben werden. Das Portfolio umfasst viele private, aber auch öffentliche Aufträge.
Kunden rasch verstehen
Wie akquiriert das Team seine Aufträge? Woher stammen die Kontakte? 50 bis 60 Prozent gehen auf Empfehlungen zurück. Frei nach dem Motto: Die Kompetenz spricht sich in der jeweiligen Branche herum – und auch über deren Grenzen hinweg. Als gewichtiges Pfund erweist sich der große Erfahrungsschatz in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen. „Wir verstehen sehr schnell, welche Bedürfnisse der Kunde hat“, betont Stiegel und verweist auf deren Produktions- und Arbeitsprozesse sowie die Methodik. Man ziehe rasch die passenden Schlüsse daraus, was das für die erforderlichen Gebäude bedeute.
Stiegel ergänzt: „Wir gestalten zukunftsorientiert und denken darüber hinaus funktional sowie produktorientiert. Daraus resultiert eine Mischung aus authentischer Architektur für den Kunden mit wirtschaftlichem Sachverstand, der sich bei den Kosten wiederfindet.“
Kurz gesagt: Das Unternehmen weiß, wie man Zeit und Budgets einhält, aber auch gute Gestaltung entwickelt.
Von innen nach außen
Doch nichts ist so gut, als dass man es nicht noch besser machen könnte. Vor diesem Hintergrund rief RSE+ um die Jahrtausendwende seine Sparte Fabrik- und Logistikplanung unter der Führung von Andreas Heyer ins Leben. Ziel war es, die Kundenwünsche besser zu verstehen und zielgerichteter am Markt aufzutreten – und zu akquirieren. Was bedeutet: Wer die angestrebten Funktionalitäten am besten berücksichtigt, wird sich am ehesten in die Lage versetzen, das dazu notwendige Gebäude zu planen und anzubieten.
„Wir entwickeln nicht von außen nach innen, sondern eher umgekehrt – von innen nach außen“, bringt Heyer den Prozess auf den Punkt. Zusammen mit seinem Geschäftsführer-Kollegen Paul Seidel, der vor zwei Jahren an Bord ging, leitet er die eigenständige Gesellschaft Fabrik Logistik GmbH. In dem Bereich engagieren sich heute rund 20 hochkarätige Spezialisten.
Von BIM und Revit-Software
Sämtliche Projekte (bzw. Fabriken) planen die RSE-Teams heute durchgängig in Drei-D-Technik. Dazu setzen die Kreativen auf Revit-Software aus dem Haus Autodesk. Die 3-D-Planung bietet den Vorteil, dass sich sämtliche Disziplinen und Gewerke, die am Bau mitwirken, über den Weg erfassen und integrieren lassen – um gemeinsam an dem Modell zu arbeiten.
Experten sprechen von einer sogenannte Kollisionsplanung, die beispielsweise Architekten, Elektro-Ingenieure, Tragwerksplaner, Ingenieure für den Bereich Heizung, Lüftung und Sanitär, Brandschutz-Spezialisten und Anlagenplaner der Kunden zusammenführt und quasi „an einem Schreibtisch arbeiten lässt“.
Anders gesagt: Von der Deckenhöhe und dem Stützpfeiler über die Leitungskanäle und Elektropritschen bis zur Fördertechnik wird alles auf einer Plattform geplant und visualisiert – teilweise inklusive Simulation, so dass am Ende alles zueinander passt.
„So fallen mögliche Probleme nicht erst in der Praxiserprobung auf, sondern bereits im Vorfeld, wenn die Prozesse noch aufeinander einzustellen sind“, erläutert Stiegel.
Das Ganze läuft unter dem Schlagwort BIM. Das Kürzel steht für die drei Begriffe Building, Information und Modelling. Unter dem Dach finden sich sämtliche großen Industrieprojekte wieder, so lassen sich komplexe, anspruchsvolle Lösungen umsetzen.
Komplexität versus Budget
Stichwort Anspruch: In welchen Größenordnungen wird RSE+ aktiv? Hier zeigen sich enorme Bandbreiten. Kleinere Aufträge beginnen durchaus schon im Wert von zwei Millionen Euro. Andererseits: Ein etwa 90.000 Quadratmeter umfassendes Produktionsgebäude für einen Automobilisten ist mit einem ungleich höheren Budget verbunden.
Doch nicht die Größe allein macht die Komplexität der Arbeit aus. Ein eher übersichtlich wirkendes Projekt kann in Sachen Planung und Abläufen anspruchsvoller sein als ein größeres. Das ist etwa dann der Fall, wenn zahlreiche Disziplinen zusammenwirken (müssen).
„Ein Beispiel ist eine hochkomplexe Pharma-Produktion, zu der Laborgebäude gehören, oder eine Reinraum-Produktion für Halbleiter, die mit erheblichen Kosten verbunden ist“, erklärt Stiegel.
Im Gegensatz dazu stehe eine Logistikhalle, deren Bau noch deutlich teurer sei.
Ähnlich verhält es sich mit der Projektdauer. Die Zeitfenster können weit variieren. Anderthalb bis zwei Jahre veranschlagt der Kasseler Manager für kleinere und mittlere Projekte. Große Aufträge erstrecken sich auf bis zu fünf Jahre. Exemplarisch sei die neue Automobil-Fabrik für einen Sportwagen-Hersteller genannt. Dort beanspruchte der Planungsvorlauf ca. 18 Monate, die Realisierung läuft über rund drei Jahre.
20 Nationalitäten an Bord
Überall dort, wo große Herausforderungen zu stemmen sind, spielen Personal und die Personalgewinnung eine wichtige Rolle. Da macht RSE+ keine Ausnahme. So ist das Unternehmen ständig auf der Suche nach guten Projektleitern, die Teams von drei bis zehn Fachkräften über alle Leistungsphasen führen können. Von der Ermittlung der Grundlagen über Vorentwurf, Entwurf und Bauantrag bis zur Ausführungsplanung, Ausschreibung, Vergabe, Bauleitung und der Projektbetreuung erstrecken sich die neun Elemente. Außerdem gesucht werden kompetente Architekten und Ingenieure für Entwurf und Konstruktion sowie Objektüberwacher bzw. Bauleiter.
Aktuell sind etwa 20 Nationalitäten unter dem Dach von RSE+ vereint. Spanier und Kolumbianer zählen ebenso dazu wie Weißrussen, Ukrainer, Chinesen und Syrer, um die Bandbreite exemplarisch in drei Kontinente zu fassen.
„Ein solches multikulturelles Team zu führen, ist eine echte Aufgabe“, bestätigt Holzinger. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass die Spezialistinnen und Spezialisten harmonisch zusammenarbeiten. Als kommunikatives Bindeglied dient die englische Sprache.
Exot ist ein Spanier, der zuvor im Büro Stuttgart tätig war. Er arbeitet heute von Madrid aus. Überhaupt spielen in Sachen Kommunikation nationale oder sonstige Grenzen kaum eine Rolle. Kein Wunder, laufen die meisten Projektbesprechungen ohnehin online, nämlich via Microsoft Teams.
Dresden, Itzehoe und Baunatal
Womit beschäftigt sich RSE+ aktuell? In Dresden hat das Unternehmen gerade für die Jenoptik AG eine Fabrik zur Chip-Fertigung mit CRC Generalplanung fertiggebaut. Das Projekt unter dem Titel High-Tech-Fab, das ein Volumen von rund 70 Millionen Euro umfasst, ist in unmittelbarer Nachbarschaft zum dortigen Bosch-Standort, der seinerzeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeweiht wurde.
Im norddeutschen Itzehoe, oberhalb von Hamburg gelegen, kümmern sich die Nordhessen um eine Fabrik von Vishay für sogenannte Wafer. Es handelt sich um eine Chip-Vorstufe, die in der Versorgungstechnik Verwendung findet. Die Investition beläuft sich auf eine Größenordnung von 60 Millionen Euro. Abgeschlossen werden soll der Bau bis zum Ende des Jahres. Für Volkswagen sind die Architekten und Ingenieure außerdem in Baunatal im OTC2 aktiv. Dort beschäftigt sie der Bau eines Hochregal-Lagers.
„Es wird am Ende aus dem bestehenden Gebäude etwa 15 Meter nach oben herauswachsen“, blickt Stiegel voraus.
Der 61-Jährige hatte 1982 in Hofgeismar sein Abitur abgelegt und danach Ingenieurwesen studiert. Den Bildungsgang schloss er 1988 ab und trat kurz darauf bei RSE ein. „Damals waren wir 14 Mitarbeiter“, erinnert sich der Nordhesse und ergänzt, es mache ihm nach wie vor Spaß. Das eingespielte Team motiviert ihn – und die Tatsache, „dass unsere Arbeit am Markt ankommt“, betont der verheiratete Vater zweier erwachsener Kinder.
Früher hielt sich das Rotary-Mitglied mit Handball und Leichtathletik fit, seit drei Jahren schlägt er als Golfer an den kleinen weißen Ball. Mit Freude dürfte er verfolgen, dass sein Sohn Jonas ebenfalls Architekt studiert hat. Nach einer Auszeit in Australien dockte der Youngster im März im Stuttgarter RSE-Büro an. Ob sich da bereits die nächste Generation ankündigt? „Schaun mer mal“, schmunzelt Stefan Stiegel.
Interdisziplinär
Das interdisziplinäre Team von RSE+ kombiniert Architektur, Ingenieurwesen sowie Fabrik- und Logistikplanung. Der Bogen spannt sich von den Arbeitswelten Gewerbe-, Industrie-, Reinraum- und Produktionsstätten sowie Logistik über Büros und Verwaltung bis hin zu Krankenhaus, Pflege oder Schule und Kita. Im Mittelpunkt steht die enge Verzahnung von Funktion, Technik und Gestaltung – stets mit dem Ziel, komplexe Anforderungen in abgestimmte Gesamtkonzepte zu übersetzen.
DNA authentisch spiegeln
RSE+ versteht Planung als die Herausforderung, zukunftsfähige Arbeitswelten zu entwickeln. Es geht darum, Begegnung und Austausch, Zusammenarbeit und Innovation sowie reibungslose Prozesse zu ermöglichen. So soll die jeweilige Unternehmenskultur geprägt und Haltung sichtbar gemacht werden.
„Wir wollen inspirierende Arbeitswelten schaffen, die sowohl Kunden als auch Mitarbeiter authentische Einblicke in die Identität und Kultur eines Unternehmens gewähren“, hebt Geschäftsführer Stefan Stiegel hervor.
Es geht um ganzheitliche Lösungen in Architektur, Ingenieurwesen sowie Fabrik- und Logistikplanung – alles aus einer Hand. Mit Leidenschaft und Präzision will das Team Räume kreieren, die nicht nur funktionieren, sondern auch berühren. Der Anspruch ist es, echten Mehrwert entstehen zu lassen und ein nachhaltiges Zeichen für Qualität setzen.
„Funktion und Gestaltung, Kostenbewusstsein und Termintreue gehen bei uns Hand in Hand. Dafür stehen wir seit 55 Jahren“, erklärt Stiegel.